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"Wir suchen und pflegen Kontakte zu Menschen in Wittens Partnerstädten"

Was zwei ehemalige „Ossis“ von der Einheit halten

  Gebürtige Leipzigerin: Stefanie Bornscheuer an ihrem Arbeitsplatz in der Stadtbibliothek Witten, wo es natürlich jede Menge Literatur über die DDR und die Deutsche Wiedervereinigung gibt.  Foto: Walter Fischer / FUNKE Foto Services
Gebürtige Leipzigerin: Stefanie Bornscheuer an ihrem Arbeitsplatz in der Stadtbibliothek Witten, wo es natürlich jede Menge Literatur über die DDR und die Deutsche Wiedervereinigung gibt. Foto: Walter Fischer / FUNKE Foto Services

WAZ. Stefanie Bornscheuer war gerade mal vier Jahre alt, als die Mauer fiel. Im Jahr 2000 zogen sie und ihre Mutter von Leipzig in den Westen. „Wenn das nicht möglich gewesen wäre, hätte ich meinen Mann nicht kennengelernt“, sagt die 35-Jährige, die im Märkischen Museum und in der Stadtbibliothek arbeitet. Am Tag der Deutschen Einheit wird sie ihre Oma, die noch drüben ist, anrufen. Und vielleicht ein wenig in Erinnerungen schwelgen.

„Leipzig“, sagt Stefanie Bornscheuer, „ist eine schöne Stadt“. Alle paar Jahre fährt sie hin. „Das ist wie nach Hause kommen.“ Bei der Oma im Schrebergarten sind sie und ihr älterer Bruder immer mit dem Bollerwagen Rennen auf den schmalen Wegen gefahren. Im Fotoalbum, dass sie zum Treffen mitgebracht hat, blättert der Betrachter durch eine glückliche Kindheit. Nur dass sie mit drei Jahren als Stadtkind drei Wochen lang ohne die Mama zur Kur aufs Land geschickt wurde, hat der kleinen Stefanie nicht gefallen. „Aber das war in der DDR so üblich.“

Ab und an habe ihre Mutter sie im Herbst 1989 mit zu den Montagsdemos genommen, bei denen die Bürger friedlich gegen die politischen Verhältnisse protestierten. „Ich bin schon stolz darauf, dass wir für Freiheit gekämpft haben“, sagt Stefanie Bornscheuer. Als die Grenze dann offen war, sei sie mit ihrer Mutter einmal rüber, um in den Genuss des Begrüßungsgeldes zu kommen. Jeder in die Bundesrepublik einreisende DDR-Bürger erhielt damals 100 DM bar auf die Hand.

„Wir sind in ein Einkaufscenter gegangen. Doch meine Mutter wollte nichts kaufen, nur gucken.“ Sie habe das Westgeld aufheben wollen, weil sie nicht daran glaubte, dass die Grenze tatsächlich offen blieb. Die harten Devisen waren in der DDR viel wert. Immerhin kann Stefanie sich noch an ihr erstes Westgeschenk erinnern: eine blonde Barbiepuppe mit blauem Badeanzug.

Elf Jahre sollte es noch dauern, bis Mutter und Tochter in den Westen gingen. Wipperfürth im Oberbergischen war ihre erste Station. Im Gymnasium habe sie die Grenzen in den Köpfen der Menschen erlebt. „Der Großteil der Schüler wollte mit mir nichts zu tun haben.“ Ossis seien dumm und faul – solche Sprüche musste sich Stefanie anhören. Sie wechselte zur Hauptschule, machte dort ihren Realschulabschluss, holte das Abi nach und ist jetzt Fachangestellte für Medien und Information.

Im September war die Wittenerin Rita Boele dort bei einer deutsch-deutschen Lesung zu Gast im Kulturhaus. Sie ist Mitglied des Wittener Partnerschaftsvereins. Gemeinsam mit Tobias Köppe vom Wolfener Pendant hat sie bei ihrem Auftritt einen schillernden Bogen geschlagen von Demokratie bis Erotik.

Noch immer seien vor allem ältere Menschen verwundert, wenn sie hören, dass Stefanie aus Leipzig kommt: „Ach, du bist gar nicht von hier?“, heißt es dann. Sie spürt genau, wie das gemeint ist. „Wir sind alle Deutsche. Das sollte doch gar kein Thema mehr sein“, sagt Stefanie, der man die waschechte Sächsin nicht anhört.

Ganz anders Lutz Schädlich. Obwohl der 61-Jährige, der im vogtländischen Plauen geboren wurde, schon 1984 in den Westen kam, hat er den markanten Dialekt in all der Zeit behalten. 3. Oktober? Für Schädlich ist das ein Datum wie jedes andere. „Mit der Geschichte habe ich abgeschlossen“, sagt der Hevener. Ohnehin habe er an diesem Samstag ganz anderes zu tun. Schließlich finden die Tage für neue Kammermusik nun doch live statt. Als technischer Leiter von Saalbau und Haus Witten bereitet er auch die Konzerte im Märkischen Museum vor.

Aber dann kommt er doch ein bisschen ins Plaudern. Viel Westfernsehen habe er geguckt. Und sich gedacht: „Ich will auch so ‘ne Jeans. Ich will auch da rüber.“ Irgendwann stellten er und seine damalige Freundin einen Ausreiseantrag. Am 1. März 1984 war es soweit. „Wir sind in eine Abschiebewelle reingerutscht.“ Seine Freundin war damals hochschwanger. Am 1. April wurde Tochter Linda geboren.

Lutz Schädlich fasste schnell Fuß im Westen. Er hatte als Bühnentechniker am Plauener Stadttheater gearbeitet. In Köln machte er seinen Meister in Veranstaltungstechnik und studierte Betriebswirtschaft. Viele Jahre war er am Theater Düsseldorf beschäftigt, wechselte danach zum Bochumer Ruhrcongress und 2005 nach Witten. Längst hat er seine Stasi-Akte gelesen und dann beschlossen: „Ich will nach vorne schauen.“ Denn die ostdeutsche Mentalität sei – vorsichtig ausgedrückt – nicht mehr sein Ding.

WAZ-Bericht von Annette Kreikenbohm

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